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Entscheidung OLG Hamm zur Frage des Schlusserben OLG Hamm, Beschluss vom 14.03.2014 - 15 W 136/13

Sachverhalt:

Ein Erblasser errichtete gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau ein Ehegattentestament. Damit setzten sich die Eheleute wechselseitig zu alleinigen Erben ein und die Tochter des Ehemannes sowie den Neffen der zweiten Ehefrau zu gleichen Teilen als Schlusserben des zuletzt versterbenden Ehegatten ein.

Nach dem Tod des Ehemannes schlug die Ehefrau die Erbschaft aus. Daraufhin beantragte die Tochter des Ehemannes, sie als Alleinerbin auszuweisen. Der Neffe trat diesem Antrag mit dem Vortrag entgegen, er sei aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments ebenfalls Erbe geworden.

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Rechtsauffassung der Tochter bestätigt. Nach Ausschlagung der Erbschaft durch die Ehefrau als testamentarisch eingesetzte Erbin wurde die Tochter als einziger Abkömmling des Erblassers dessen Alleinerbin.

Die im Ehegattentestament vorgesehene Regelung, dass beide, also Tochter und Neffe Schlusserbe nach dem Letztversterbenden werden sollen, sei nicht eingetreten, weil der Erblasser oder Vater der zuerst Verstorbene gewesen sei.

Die Tochter und der Neffe seien in dem Testament auch nicht zu Ersatzerben für den Fall benannt worden, dass der Überlebende der Eheleute die an ihn fallende Erbschaft ausschlage.

Auch eine Auslegung ergebe kein anderes Bild. Mit ihrem gemeinsamen Ehegattentestament hätten die Eheleute bezweckt, ein gemeinsam erwirtschaftetes Vermögen zunächst dem überlebenden Ehegatten voll umfänglich zukommen zu lassen, um das Vermögen dann nach dem Tod des zuletzt Sterbenden den Schlusserben zuzuwenden.

Damit sind die Eheleute davon ausgegangen, dass der überlebende Ehegatte das Erbe annimmt. Schlägt dieser die Erbschaft aus, so begibt er sich der Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Dass der Ehemann für diesen Fall den Willen gehabt haben soll, die als Schlusserben für das gemeinsame Vermögen ausgewählten Personen sollen auch Alleinerben für sein Vermögen sein, könne nicht angenommen werden.

Fazit:

Bei der Errichtung eines Testaments sind neben der Erbeinsetzung auch für alle denkbaren Konstellationen Nach- oder Schlusserben zu benennen, wenn hier eine eindeutige Regelung von den Erblassern gewünscht ist.

Das Bundesverfassungsgericht kippt die Regelung zur Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftssteuer. Bundesverfassungsgericht Urteil vom 17.12.2014 1 BvL 21/12

Sachverhalt:

Der Kläger des Ausgangsverfahrens war Miterbe eines im Jahre 2009 verstorbenen Erblassers. Dabei setzt sich der Nachlass aus einem Steuererstattungsanspruch und aus Guthaben bei Banken zusammen.

Das Finanzamt setzte die Erbschaftssteuer mit eine m Steuersatz von 30 % nach Steuerklasse II fest. Der Kläger sah diese Einstufung als verfassungswidrig an.

Er sah die Verfassungswidrigkeit darin, dass die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs eines betrieblichen Vermögens in Teilen gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoße. Dort ist eine Verschonungsfrist für den Übergang betrieblichen Vermögens vorgesehen, um den Bestand eines Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden.

Der BG ist der Meinung, dass eine solche Verschonungsregelung eine Ungleichbehandlung bewirke, die grundsätzlich auch verhältnismäßig sein könne, soweit sie eine Steuerverschonung von 100 % ermögliche.

Das Bundesverfassungsgericht erachtet aber die Regelung beim Übergang großer Unternehmensvermögen insoweit aber für korrekturbedürftig. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens sei dann unverhältnismäßig, wenn sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgehe. Hier erreiche die Ungleichbehandlung wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, welches ohne die genaue Feststellung einer Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen sei. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht komme.

Strenge Anforderungen: Vernichtet ein Erbe das Testament, wird sein Erbnachweis deutlich erschwert

Strenge Anforderungen: Vernichtet ein Erbe das Testament, wird sein Erbnachweis deutlich erschwert

Bei handschriftlichen Testamenten ergeben sich besondere Schwierigkeiten, wenn die Originalurkunde nicht mehr vorhanden ist. Ob und auf welche Art und Weise das Testament in solchen Fällen nachgewiesen werden kann, bewertete das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) im folgenden Fall.

Nach dem Tod eines Mannes stritten dessen Witwe und sein Neffe über das Erbe. Die Ehefrau behauptete, dass die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament handschriftlich verfasst hätten, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und entferntere Cousins zu Schlusserben eingesetzt hatten. Dieses Testament habe sie nach seinem Tod im Beisein von zwei Zeuginnen geöffnet, für die Abwicklung des Kontos und die Ummeldung des Kfz verwandt und danach vernichtet, da sie der Meinung war, es nicht mehr zu benötigen. Der Neffe bestritt die Existenz eines solchen Testaments und war daher der Auffassung, dass er aufgrund der gesetzlichen Erbfolge zum Erben geworden sei. Das Gericht verhörte die Zeugen und kam danach zu dem Schluss, dass nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls ein formwirksames Testament vorgelegen habe.

Nach Ansicht des OLG wog es im vorliegenden Fall besonders schwer, dass die Ehefrau das Testament selbst vernichtet hatte. Es wies auf den allgemeinen Rechtsgedanken hin, wonach derjenige, der einen Gegenstand vernichtet, von dem er erkennt oder jedenfalls erkennen muss, dass dieser einmal Beweisfunktion haben kann, die daraus ergebenden Folgen für seine Beweisführung in einem Gerichtsverfahren tragen muss. Die Zweifel gingen daher hier zu Lasten der Ehefrau. Das Gericht musste daher annehmen, dass kein wirksames Testament vorgelegen hatte und somit die gesetzliche Erbfolge eintrat.

Hinweis: Grundsätzlich ist es möglich die Errichtung, Form und Inhalt eines Testaments auch ohne die Vorlage der eigentlichen Urkunde zu beweisen - allerdings mit strengen Anforderungen. Es muss über Inhalt und Form des Testaments Gewissheit zu erlangen sein, wie in vergleichbarer Weise durch eine Vorlage im Original. Der Grund für diese hohen Anforderungen ist, dass derjenige, der von der Erbfolge ausgeschlossen wird, keine Einwendungen geltend machen kann, die sich erst anhand der Urkunde selbst ergeben können (z.B. die Eigenhändigkeit der Niederschrift oder Unterschrift). Der derartiger Nachweis wird daher sehr schwierig sein, so dass es sich empfiehlt, zumindest eine Kopie des Testaments anzufertigen und aufzubewahren.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 27.12.2018 - 20 W 250/17
Fundstelle: www.lareda.hessenrecht.hessen.de

Testierwille zweifelhaft: Testament auf einem undatierten Notizzettel ist ohne genaue Angabe eines Erben unwirksam

Testierwille zweifelhaft: Testament auf einem undatierten Notizzettel ist ohne genaue Angabe eines Erben unwirksam

Sie sind ein Klassiker im Erbrecht: handschriftliche Testamente, die immer wieder in ungewöhnlicher Form oder mit ungewöhnlichen Formulierungen verfasst werden. Dabei gibt es häufig Zweifel an dem Testierwillen des Erblassers, also Zweifel darüber, dass der Verstorbene das Schriftstück wirklich als Testament mit einem bestimmten Inhalt gelten lassen wollte, so auch im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG).

Eine Frau errichtete gemeinsam mit ihrem Mann ein Testament, in dem sie ihren Ehemann und nach dessen Tod die Kinder eines Cousins zu Erben einsetzte. Nach dem Tod des Gatten gab sie noch mehrere Entwürfe eines notariellen Testaments in Auftrag, in dem sie eine Frau zur Alleinerbin einsetzte, der sie auch eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt hatte. Diese Entwürfe waren jedoch nicht abschließend von ihr und einem Notar unterzeichnet. Darüber hinaus wurde noch ein handschriftlicher, undatierter, aber unterschriebener Notizzettel gefunden, auf dem die Frau geschrieben hatte: "Wenn sich für mich [...] einer findet, der für mich aufpasst und nicht ins Heim steckt der bekommt mein Haus und alles was ich habe." Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die Bevollmächtigte einen Erbschein als Alleinerbin und trug vor, dass ein notarielles Testament nicht mehr fertiggestellt werden konnte, da die Erblasserin überraschend verstorben sei, sie selbst aber durch den Notizzettel wirksam als Erbin eingesetzt worden war. Doch hier musste das Gericht abwinken.

Das OLG ging nämlich davon aus, dass weder die Entwürfe noch der handschriftliche Zettel ein rechtsgültiges Testament darstellten. Da der Zettel nicht datiert war, ließ sich nicht feststellen, ob er vor oder nach dem Testament des Ehepaars geschrieben wurde und dieses somit widerrief. Außerdem hatte das OLG Zweifel, ob der Notizzettel mit Testierwillen verfasst wurde. Die Form - also die Verwendung eines Notizzettels - und die Formulierung sprachen nach Auffassung des Gerichts eher dafür, dass der Zettel eine Absichtserklärung oder einen Entwurf darstellten. Darüber hinaus war die letztwillige Verfügung in dem Zettel nicht ausreichend bestimmt und daher nichtig, da darin keine Person klar als Erbe festgelegt wurde. Die Person, die erben soll, muss im Testament zwar nicht unbedingt namentlich genannt werden - es muss aber so bestimmt formuliert sein, dass jede Willkür eines Dritten ausgeschlossen ist. Daher reichte dies nicht aus, um die bevollmächtigte Frau als Alleinerbin zu bestimmen.

Hinweis: Grundsätzlich kann in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Schriftstück - etwa in einem Brief oder einem Notizzettel - der letzte Wille des Erblassers enthalten sein, auch wenn dieses Schriftstück der äußeren Form nach nicht eindeutig als Testament erkennbar ist. Dann müsste jedoch der ernstliche Testierwillen des Erblassers außer Zweifel stehen. Ferner ist zwar die Angabe eines Datums in einem handschriftlichen Testament ebenfalls nicht zwingend erforderlich, jedoch ergeben sich dann automatisch Zweifel über dessen Gültigkeit. Ein Testament ist nur dann als gültig anzusehen, wenn sich die notwendigen Feststellungen über die Zeit der Errichtung anderweitig treffen lassen. Es empfiehlt sich daher, bei handschriftlichen Testamenten die übliche Form einzuhalten und diese zu datieren.


Quelle: OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.03.2019 - 1 W 42/17
Fundstelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de


Pflichtverletzung: Testamentsvollstreckerin haftet auf Schadensersatz, wenn sie Erbanteile falsch ausbezahlt

Pflichtverletzung: Testamentsvollstreckerin haftet auf Schadensersatz, wenn sie Erbanteile falsch ausbezahlt

Bei der verantwortungsvollen Aufgabe der Testamentsvollstreckung können Fehler passieren. Dass dies unter Umständen zu Schadensersatzansprüchen der Erben oder des Finanzamts gegen den Testamentsvollstrecker führen kann, beweist der Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) wie folgt.

Eine Frau setzte in ihrem Testament ihre fünf Töchter als Erbinnen ein und ordnete Testamentsvollstreckung durch eine Rechtsanwältin und Steuerberaterin an. In dem Testament wurde zudem bestimmt, dass für zwei der Schwestern größere Geldbeträge, die diese bereits erhalten hatten, als Vorempfänge zu berücksichtigen sind. Nach dem Tod der Frau verkaufte die Testamentsvollstreckerin die Immobilien aus dem Nachlass und zahlte allen Schwestern den gleichen Betrag aus, berücksichtigte also entgegen den testamentarischen Vorgaben die Vorempfänge nicht. Die Testamentsvollstreckerin verlangte daher die zu viel gezahlten Beträge von den beiden Schwestern entsprechend zurück und mahnte diese mehrfach an, ohne dass diese jedoch den Betrag zurückzahlten. Eine der anderen Schwestern verklagte daraufhin die Testamentsvollstreckerin auf Schadensersatz in Höhe des ihr zu wenig bezahlten Anteils mit Erfolg.

Das OLG gab der Schwester Recht. Es stellte fest, dass die falsche Auszahlung des Erbes eine schuldhafte Pflichtverletzung darstellte, und ließ das Argument der Testamentsvollstreckerin nicht gelten, dass der Vorgang noch nicht abgeschlossen sei.
Hinweis: Testamentsvollstrecker haften den Erben und Vermächtnisnehmern gegenüber für schuldhafte Pflichtverletzungen. Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker von dieser Schadensersatzpflicht in seinem Testament auch nicht befreien. Darüber hinaus kann bei Pflichtverletzungen des Testamentsvollstreckers auch ein Antrag auf Entlassung des Testamentsvollstreckers beim Nachlassgericht gestellt werden.

Quelle: OLG München, Urt. v. 13.03.2019 - 20 U 1345/18
Fundstelle: www.gesetze-bayern.de

Pflichtteilsentzug wegen Diebstahls: Das gemeinsame Bewohnen eines Hauses reicht nicht für den Nachweis einer Verzeihung aus

Pflichtteilsentzug wegen Diebstahls: Das gemeinsame Bewohnen eines Hauses reicht nicht für den Nachweis einer Verzeihung aus

Die Entziehung des Pflichtteils ist stets nur bei schweren Verfehlungen möglich. Zudem kann es dazu kommen, dass der Erblasser trotz einer solchen Verfehlung dem Erben verzeiht. Wurde dies jedoch nicht ausdrücklich geregelt, kann es zu Streitigkeiten kommen, wie der folgende Fall des Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) zeigt.

Eine Frau hatte in ihrem Testament ihrem Enkel den Pflichtteil entzogen, weil dieser ihr im Jahr 1992 einen größeren Geldbetrag gestohlen hatte. Wegen dieser Tat wurde er auch verurteilt. In den letzten zehn Jahren vor ihrem Tod wohnte der Enkel jedoch mit der Frau in einem Haushalt. Nachdem sie verstarb, machte er dann geltend, dass die Pflichteilsentziehung nicht wirksam sei, da sie ihm verziehen habe. Das Gericht sah das jedoch anders.

Das OLG ging davon aus, dass der begangene Diebstahl ein ausreichender Grund für die Entziehung des Pflichtteils war. Der Enkel hatte seiner Großmutter, die selbst kaum Vermögen besaß, einen großen Betrag gestohlen, und die alte Dame hegte den Verdacht, dass es sich dabei um einen Wiederholungsfall handelte. Außerdem konnte das OLG auch keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Verzeihung erkennen. Eine solche liegt vor, wenn der Erblasser durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er die durch den Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet - er also das Verletzende der Kränkung als nicht mehr existent betrachtet. In diesem Fall konnte der Enkel nach Ansicht des Gerichts nicht darlegen, dass es durch seinen Einzug ins Haus der Erblasserin zu einem Wiederaufleben der familiären Beziehungen gekommen war. Darüber hinaus war die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt bereits an Demenz erkrankt, so dass das Gericht Zweifel daran hatte, dass sie noch in der Lage war, den moralischen Gehalt ihres Verhaltens zu begreifen und die Bedeutung einer etwaigen Verzeihung zu erkennen.
Hinweis: Eine Pflichtteilsentziehung kommt unter anderem infrage, wenn sich der Pflichtteilsberechtigte eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegenüber dem Erblasser schuldig gemacht hat. Ein solches Vergehen setzt schwerwiegende Fehlverhaltensweisen voraus, die es dem Erblasser unzumutbar machen, eine seinem Willen widersprechende Nachlassteilhabe des Pflichtteilsberechtigten hinzunehmen. Verfehlungen gegen die Eltern fallen darunter, wenn durch sie nicht nur deren Eigentum und Vermögen geschädigt werden, sondern wenn sie darüber hinaus eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck bringen und eine besondere Kränkung des Erblassers bedeuten.

Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2019 - 19 U 80/18
Fundstelle: www.justizportal-bw.de

Anordnung einer Betreuung trotz zweier Vorsorgevollmachten

Im Beschluss vom 15.08.2018, XII ZB 10/18 fasste der BGH folgende Leitsätze:


1. Zieht das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen (…).
2.  In einer Betreuungssache setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gem. § 35 II FamFG grundsätzlich voraus, dass das Gericht das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut den Betroffenen auch persönlich zur Verfügung stellt. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 I FamFG abgesehen werden (…).
3.  Zur Frage, wann die Einrichtung einer Betreuung trotz erteilter Vorsorgevollmacht erforderlich sein kann.
4.  Für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge muss eine konkrete Gefahr des Vermögens des Betroffenen durch sein aktives Tun festgestellt werden, indem er etwa vermögenserhaltende oder – schützende Maßnahmen des Betreuers kontrakariert oder andere vermögensschädigende Maßnahmen trifft (…).

Sachverhalt:
Die Betroffene wandte sich gegen die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge und gegen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Das Amtsgericht hatte auf Anregung der Tochter der Betroffenen ein Verfahren zur Betreuungsbestellung eingeleitet. Der Tochter wurde während des Verfahrens eine zu ihren Gunsten erteilte Vorsorgevollmacht vom 08.02.2017 gewährt sowie eine „Fürsorgevollmacht“ vom 24.07.2017 und eine Vorsorgevollmacht vom 03.09.2017, jeweils zugunsten des Sohnes vorgelegt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen wurde eine Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge und der Kontrolle der Ausübungen der Vorsorgevollmacht bestellt. Ferner ordnete das Amtsgericht einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge an.
Das Beschwerdegericht hat nach der Bestellung eines Verfahrenspflegers auf die Beschwerde der Betroffenen hin die Betreuung aufgehoben, soweit diese den Aufgabenkreis der Kontrolle der Ausübung der Vorsorgevollmacht betroffen hat, und im Übrigen das Rechtsmittel zurückgewiesen. Die Rechtbeschwerde gegen diese Entscheidung hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Aus den Gründen:
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Betroffene an einer eheblichen Demenz mit ausgeprägten kognitiven Defiziten und dem Unvermögen, ihre Angelegenheiten, die zum Aufgabenkreis der Vermögenssorge gehören, selbst zu besorgen. Dafür stützte sich das Gericht unter anderem auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten vom 21.08.2017. Das Beschwerdegericht erkannte zwar, dass für den Sohn der Betroffenen eine Bankvollmacht „höchst wahrscheinlich“ im Zustand uneingeschränkter Geschäftsfähigkeit erteilt worden war. Angesichts der starken Zerstrittenheit der beiden Kinder der Betroffenen untereinander sah das Beschwerdegericht jedoch die konkrete Gefahr, der Sohn der Betroffenen könne bei der Ausübung der Vermögenssorge nicht im alleinigen Interesse der Betroffenen entscheiden.

Das Beschwerdegericht hob die vom Amtsgericht für die Ausübung der von der Betroffenen erteilten Vorsorgevollmachten angeordneten Kontrollbetreuung auf. Es äußerte die Ansicht, dass das Amtsgericht, sachverständig beraten, hätte prüfen müssen, ob die Betroffene im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmachten noch geschäftsfähig gewesen sei.

Der BGH hob die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf.

1.    Er äußerte, dass die angefochtene Entscheidung schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben könne, da § 68 III 2 FamFG nach der Rechtsprechung des BGH den Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit einräume, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung nur kurze Zeit zurückläge, sich aber nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts dem Betroffenen nicht ankomme. Würden jedoch neue Tatsachen herangezogen, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datieren würden, gebiete dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen. Dieses Gebot ergebe sich vorliegend schon daraus, dass sich das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung auf das erst mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Gutachten und damit auf Tatsachen gestützt habe, die nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Anhörungen der Betroffenen gewesen seien.

2.   Den Beteiligten hätte nach § 37 II FamFG Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten gegeben werden müssen. Insbesondere sei das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf Verfahrensfähigkeit der Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihr persönlich zur Verfügung zu stellen gewesen. Davon könne nur unter der Voraussetzung des § 288 I FamFG abgesehen werden, wenn sich aus dem Gutachten Hinweise dafür ergeben könnten, dass für die Betroffene durch die Bekanntgabe Gesundheitsnachteile zu befürchten seien. Dies ergebe sich jedoch aus dem Sachverständigengutachten nicht.

3.      In der Sache könne die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben, da das Landgericht weder aufgeklärt habe, ob die Betroffene im Zeitpunkt der Erstellung der Vollmachten geschäftsunfähig gewesen sei, noch ließen sich aus dem angefochtenen Beschluss tragfähige Gründe dafür entnehmen, weshalb der Sohn als Bevollmächtigter ungeeignet sein könne, die Interessen der Betroffenen im Bereich der Vermögenssorge wahrzunehmen.
Aus § 1896 II 1 BGB ergebe sich, dass ein Betreuer nur bestellt werden dürfe, soweit die Betreuerbestellung erforderlich sei. Daran fehle es aber, soweit die Angelegenheit des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden könne (§ 1896 II 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht stehe daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Ebenso wie die – eine Betreuung erfordernde – Krankheit oder Behinderung mit hinreichender Sicherheit feststehen muss und eine bloße Verdachtsdiagnose nicht ausreiche, genüge ein bloßer Verdacht nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Könne die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, sei von einer wirksamen Bevollmächtigung auszugehen.
Trotz Vorsorgevollmacht könne eine Betreuung aber dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkreten Gefahr für das Wohl eines Betroffenen begründe. Letzteres sei der Fall, wenn erhebliche Bedenken an die Geeignetheit oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestünden. Dass die Kinder der Betroffenen zerstritten seien, lasse für sich genommen jedoch nicht den Schluss zu, der Sohn sei ungeeignet, die Vermögensangelegenheiten der Betroffenen wahr zu nehmen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Sohn von der ihm erteilen Vollmacht in einer Weise Gebrauch gemacht habe oder machen würde, die nicht dem Wohl oder dem Interesse der Betroffenen entspreche, seien vom Beschwerdegericht nicht benannt.

4.   Schließlich solle ein Einwilligungsvorbehalt den Betroffenen vor Vermögensgefährdung und durch eigenes, aktives Tun schützen. Dass der Betroffene nicht mehr geschäftsfähig sei, genüge nicht, um einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge zu rechtfertigen. Die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen stehe zwar der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes nicht entgegen. Aber auch bei einem geschäftsunfähigen Betroffenen könne ein Einwilligungsvorbehalt nur angeordnet werden, wenn konkrete Gefahren für dessen Vermögen festgestellt sind, die nur auf diese Weise abgewendet werden können. Dazu fänden sich im Amtsgerichtlichen Beschluss jedoch keine konkreten Feststellungen.

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